NINA BESIEGT ANOREXIA

Mein Leben war die Hölle. Doch was dann geschehen ist, ließ alle nur noch staunen…

Vorab aber ein kleiner Schwenk in die schreckliche Zeit. Und entschuldige bitte, falls es etwas länger wird. Die Kindheit. Gewalt. Missbrauch. Isolation. Einsamkeit.

In der Pubertät trat dann die Anorexia nervosa auf. Ich fühlte mich unwürdig, untauglich, minderwertig und allseits unbeliebt. Ich begann, willentlich zu verhungern. Gleichzeitig verlor ich mich in meinen religiösen Vorstellungen, nahm buchstäblich emotionalen Abschied von meinen Eltern. Wenn ich ausreichend gelitten hätte, so dachte ich damals, würde ich endlich wertvoll und geliebt sein. Darüber habe ich ja bereits ausführlich mit dir gesprochen.

Dann gab mir Natascha den Rat, dich aufzusuchen. Es war ungewohnt, das ganze via Videotelefonie zu erleben. Aber das Gute war, ich musste dazu nicht einmal das Haus verlassen. Wir hatten damals ja auch „Spinndemie“, trugen Masken und feierten freiwillige Haft in den eigenen vier Wänden.
Mann! Was für eine Zeit.

Ich erinnere mich genau, wie du mich in unserer ersten Session liebevoll empfangen hast. Da war er, der berühmte Dave, der „andere Mensch“! Aber du warst gar nicht abgehoben, sondern total bodenständig, authentisch, geradlinig und sehr, sehr warmherzig. Und du brachtest mich sofort zum Lachen, als du sagtest: „Du befindest dich im ersten Stadium der Anorexia nervosa. Das erste Stadium ist gleichzeitig das letzte. Bei mir zumindest. In meiner Arbeit kommt nämlich keiner ins zweite Stadium. Denn bei mir geht keiner weg, bevor er nicht wieder was im Magen hat.“

Trotzdem fühlte ich mich voll angenommen. Du hast mir nicht erlaubt, mich als kranke, irrsinnige Hungernde zu erleben, sondern gesagt: „Es gibt keine psychischen Erkrankungen. Es gibt nur Besonderheiten. Und deine Besonderheit ist es, sehr lange nichts essen zu können. Das muss dir mal einer nachmachen! Aber ich weiß, dass es bei dir nicht ums Essen geht. Bei dir geht es um Liebe. Du glaubst, du müsstest leiden, um geliebt zu werden. Aber mach dir nichts draus – die meisten Leute setzten Liebe mit Leid gleich. Auch die Adipösen. Deshalb ist das keine Besonderheit an dir. Aber das nichts essen können, das ist eine Superkraft.
Von jetzt an möchte ich, dass du dir täglich die Frage stellst: Wie gerne leide ich eigentlich? Und darauf gibst du dir jedes Mal eine radikal ehrliche Antwort auf einer Skala von null bis Hundert.
Sobald du feststellst, dass deine Bewertung steigt, musst du etwas Kleines essen. Sinkt die Bewertung, darfst du hungern.“

– Das war ein so ungewöhnlicher Ansatz, den ich noch in keiner Therapie erlebt hatte. Und das Beste war, ich fühlte mich plötzlich angenommen. Als wärst du der erste Mensch in meinem Leben, der mich so sehen konnte, wie ich wirklich war – besonders.

Dann kam diese wundervoll hypnotische Tiefenentspannung. Das war eine Wucht! Als wäre ich endlich befreit für diese Zeit. Frei von jeder Angst, jeder Befürchtung, jedem Druck, jedem Schmerz, jeder Last. Ich erinnere mich nicht an die Einzelheiten. Aber es ging mir danach sofort besser. Und ich hatte plötzlich Hunger! Ich und Hunger? – Das war, als hätte ich einen neuen Planeten entdeckt.
Und es wurde mit jedem Male tiefer, schöner und ich fand mich bald total entspannt in meinem Alltag wieder. Ich begriff allmählich, dass ich keine Störung mit dem Essen hatte, sondern mit der Liebe. Ja, ich wollte Liebe. Das war es. Ich wollte gar nicht verhungern, sondern mir Liebe “erhungern”.

Mein Selbstwert stieg und stieg mit jedem Mal, wo ich mit dir arbeitete. Meine Beziehung zur Familie wurde wieder innig. Da war Tatendrang in mir und Lebenslust. Ich nahm Gewicht zu, konnte Nahrung nach und nach genießen. Aber ich hatte Angst vor dem zweiten Stadium der Anorexia, bei dem man dann fett würde. Ich hatte Angst, mich wieder unnütz, ungeliebt und nicht liebenswert, einsam und niedergedrückt zu fühlen. Weil ich dann statt Haut und Knochen plötzlich kugelrund wäre.

Dann aber fiel mir ein, dass du sagtest, bei dir gäbe es kein zweites oder drittes Stadium. Und so war es dann tatsächlich.

Heute wiege ich annähernd so viel, wie eine junge Frau meines Alters und meiner Größe wiegen sollte. Ein paar Kilo Körpermasse könnten meine Knochen noch vertragen. Aber das siehst du ja selbst auf dem Bild, das ich dir mitgeschickt habe. Das hätte ich noch vor ein paar Jahren nicht zuwege gebracht – ich hasste ja meinen Körper und somit auch Fotos von diesem.
Aber jetzt…

Dave, ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich dir danken möchte. Für alles, was du in so kurzer Zeit in so kompetenter Weise und auf so liebevolle, sanfte Art bei mir geschafft hast.
Ich fühle mich wie neugeboren und hole gerade mein abgebrochenes Studium nach. Nebenher jobbe ich für eine Agentur. Die zahlen gut. Und ich kann mich endlich auf die Begegnung mit Männern einlassen. Die Traumata aus meiner Kindheit hast du nämlich auch mit Bravour erlöst.

Du bist der Beste. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich schon tot. Danke für dein Sein. Wir sehen uns wieder. Denn ich möchte nicht mehr auf deine Dienste verzichten.

Mit normalgewichtigen Grüßen aus Bielefeld,
Nina

PS: Darfst du oder deine Leute gerne öffentlich machen